kommunale MVZ Deutschland
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Bayerns erstes kommunales Medizinisches Versorgungszentrum – Interview

Bayern erstes kommunales MVZ

Bernhard Kern (68), scheidender langjähriger Bürgermeister der Marktgemeinde Weilbach (seit 1996) im unterfränkischen Landkreis Miltenberg im Interview mit Impulse über kommunale Lösungsansätze hinsichtlich des heraufziehenden Landarztmangels und die Gründung des ersten kommunalen Medizinischen Versorgungszentrums in Bayern.

Das Interview für Impulse führte Luise Viktoria Ruß.

Impulse: Herr Kern, die Thematik des Landarztmangels gewinnt zunehmend an Dynamik. Vor allem in den kommenden fünf Jahren wird die Zahl der Praxis-Abgeber rasant steigen. Wann war Ihnen bewusst als Gemeinde das Thema selbst aktiv angehen zu müssen?

Kern: Die Thematik des Landarztmangel wurde uns insbesondere bewusst, als wir im Rahmen unserer Allianz vor circa 5 Jahren eine Umfrage unter den Ärzten in der Region erstellten. Dabei stellte sich heraus, dass uns dieses Problem in sehr naher Zeit ereilen würde. Insoweit fanden Gespräche mit dem ortsansässigen Arzt statt, der uns dann auch bestätigte, dass sich die Suche nach einem Nachfolger als sehr problematisch und schwierig erwies. Daraufhin haben wir gemeinsam versucht, nach einer Lösung zu suchen.

Impulse: Am 1. April dieses Jahres eröffnete Bayerns erstes Medizinisches Versorgungszentrum in kommunaler Trägerschaft in Weilbach. Ein „absolutes Novum“, wie Sie selbst kürzlich in einem anderen Interview sagten. Was bedeutet dies für die Zukunft Ihrer Gemeinde?

Kern: Das Medizinische Versorgungszentrum Weilbach ist ein Meilenstein nicht nur in der ärztlichen Versorgung Weilbachs, sondern auch darüber hinaus. Mehrere Kommunen aus gesamt Bayern fragen an, wie dies zu bewerkstelligen ist, weil anscheinend die Problematik überall aufploppt. Für die Zukunft des Marktes Weilbach bedeutet dies eine auf Dauer gesehen gesicherte ärztliche Versorgung, die sogar in Bezug auf Sprechzeiten und Kapazitäten, gegenüber der bisherigen Praxis erweitert werden konnte. (Lesen Sie auch: Gründung kommunaler Medizinischer Gesundheitszentren – Interview)

Impulse: Hatten Sie zu Beginn auch andere Möglichkeiten bzw. Lösungen ausgelotet? Wieso ist die Gemeinde schlussendlich diesen Weg gegangen?

Kern: Selbstverständlich haben wir im Rahmen bzw. im Vorfeld der Gründung dieses Medizinischen Versorgungszentrums auch andere Möglichkeiten oder Lösungsansätze diskutiert. Diese fanden im Rahmen der Allianz Arbeit statt und so wurde unter anderem auch das Genossenschaftsmodell als eine mögliche Lösung diskutiert aber letztendlich wieder verworfen, weil es für die Situation vor Ort nicht der richtige Ansatz war.

Impulse: Sie gehören damit zu Deutschlands ersten Kommunen mit einem Medizinischen Versorgungszentrum in kommunaler Trägerschaft. War Ihnen das von Beginn an bewusst?

Kern: Ob wir eine der wenigen in Deutschland waren, die ein Medizinisches Versorgungszentrum in kommunaler Hand gründen, war mir anfänglich nicht bekannt. Nach Rücksprache mit den uns begleitenden Büros kamen wir doch immer mehr zu der Überzeugung, dass wir derzeit noch Einzelkämpfer sind, zumindest was die Situation in Bayern angeht. Aber auch das vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit geführten Kommunalbüro-Gesundheit in Nürnberg, mit dem wir immer in sehr engem Kontakt standen, hat uns dies bestätigt.

Impulse: Wie lange arbeiteten Sie und die Gemeinde Weilbach am Projekt eines kommunalen Medizinischen Versorgungszentrums? Gab es intern und in der Ärzteschaft erste Bedenken zu überwinden? (Lesen Sie auch: Erstes kommunales MVZ nun auch in Nordrhein-Westfalen eröffnet)

Kern: Die Thematik medizinische Grundversorgung und deren Sicherung beschäftigt uns schon seit über fünf Jahren im Rahmen der bereits genannten Allianz Arbeit. Bis man alles ausloten konnte was und wer einem helfen kann und vor allen Dingen wie man dieses Thema angeht, hat mich das Medizinische Versorgungszentrum Weilbach bereits knapp drei Jahre beschäftigt. In der Ärzteschaft gab es keine Bedenken, auch, weil der einzige Arzt in Weilbach von seiner Nicht-Nachbesetzung selbst betroffen war. Aus der Ärzteschaft in der näheren Umgebung lagen uns ebenfalls keine negativen Äußerungen vor, was die Gründung des Medizinischen Versorgungszentrums angeht, denn: sie alle wissen, dass der Amorbacher Raum personell völlig unterbesetzt ist.

Impulse: Wie haben Sie sich auf den Gründungsprozess vorbereitet?

Kern: Die Gründung eines Medizinisches Versorgungszentrums ist alleine nicht machbar. Dazu benötigt man Wegbegleiter, die die Materie insbesondere im Medizinrecht und Arztrecht beherrschen und auch die notwendigen Fragestellungen betreiben, insbesondere auch was die Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit angeht.
In vielen Diskussionen wurden Für und Wider eines medizinischen Versorgungszentrums diskutiert, Daten verglichen und auf ihre Realisierung hin geprüft und am Ende die notwendigen Entscheidungen getroffen. Dazu bedarf es einer großen Überzeugungskraft, um die Entscheidungsträger auch mit zu nehmen.

Impulse: Wo sehen Sie das MVZ Weilbach in den kommenden Jahren? Sind fachärztliche Erweiterungen oder Ähnliches geplant?

Kern: Das MVZ sehe ich zunächst einmal als langfristige Grundsicherung der ärztlichen Versorgung vor Ort. Natürlich wurden bereits fachärztliche Erweiterungsmöglichkeiten oder ähnliches diskutiert, bislang aber noch nicht auf den entsprechenden Weg gebracht. Gleiches gilt auch für die Gründung von Außenstellen des MVZ in anderen Kommunen oder gemeinsame MVZs. Leider kann dies auch nicht mehr durch meine Person weiterverfolgt werden, da ich zum 1.5.2020 in den wohlverdienten Ruhestand getreten bin. Alle weiteren Entscheidungen wird der Markt Weilbach mit seinen Gremien und Unternehmen denke ich verantwortungsvoll auch in Zukunft weiter treffen.

Impulse: Was können Gemeinden vor dem Hintergrund des allgemeinen Hausärztemangels anders machen? Was empfehlen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen?

Kern: Wie bereits derzeit von mir auch immer öfters praktiziert und auch vor Ort mit Kollegen bereits besprochen, kann ich die Gründung eines MVZ in kommunaler Hand nur begrüßen und befürworten. In diese Richtung führe ich derzeit Diskussionen mit etlichen Interessenten. Ich finde es als die momentan einzige Möglichkeit den ländlichen Raum mit entsprechender ärztlicher Grundversorgung auszustatten. Das SGB V gibt uns die gesetzlichen Grundlagen, ich würde meinen, sogar den Auftrag, sodass in nicht mehr allzu langer Zeit gegebenenfalls dies auch – zumindest moralisch und dem Wunsch der Bürgerschaft entsprechend – als Pflichtaufgabe der Kommunen gesehen werden kann. Dieser Herausforderung muss man sich stellen und Bayern bietet mit dem Kommunalunternehmen, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, geradezu die optimale und wunderbare Möglichkeit, dies so zu realisieren, um die uns andere Bundesländer oft beneiden. Durch meine bundesweite Vernetzung weiß ich um die Probleme von Kolleginnen und Kollegen. (Lesen Sie auch: Zukunftsfeld „Kommunale Medizinische Versorgungszentren“)

Impulse: Herr Kern, herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Weitere informative Beiträge zu den Themen moderne medizinische Versorgung und Bewältigung des Ärztemangels finden Sie in unserem Magazin Impulse